Compass Box – VELLICHOR
★★★★☆
Als jemand, der sehr viel liest und jedes neue Buch erst einmal riechen muss (ja, das ist ein Ritual von mir), hat mich der Name Vellichor sofort abgeholt. Vellichor ist ein erfundenes Wort für das nostalgische, melancholische Gefühl, das man in Antiquariaten empfindet, hervorgerufen durch den Geruch alter Bücher und die Vorstellung vergangener Geschichten. Das Wort wurde von John Koenig für seine Website The Dictionary of Obscure Sorrows geschaffen und beschreibt die Wehmut angesichts der unzähligen, nie gelesenen Bücher, die jeweils in ihrer eigenen Ära gefangen sind.
Abgefüllt wurde der Vellichor im Januar 2022, mit 44,6% Vol., ungefärbt, nicht kühlfiltriert und einer überschaubaren Auflage von 3.246 Flaschen. Ein Blend, der sich aus Macallan, Highland Park, einem Blended Scotch Parcel, einem Blended Malt Parcel und etwas Caol Ila zusammensetzt:
- 12,1 % Macallan Single Malt (First Fill Bourbon Barrel)
- 38,9 % Highland Park Single Malt (Recharred Hogshead)
- 15,6 % Blended Scotch Parcel (Refill Sherry Butt)
- 29,3 % Blended Malt Parcel (Refill Sherry Butt)
- 4,1 % Caol Ila Single Malt (Refill Hogshead)
Allein die Komposition klingt wie die Regale eines gut sortierten Antiquariats: einzelne Klassiker, ein paar seltene Bände, dazwischen Anthologien, die längst vergriffen sind.
Optik
Stroh-Goldgelb
Nase
Beim ersten Hineinriechen ist sofort ein Mix aus Heu, einem ganz leichten Rauchschleier und einer angenehmen, malzigen Süße da. Eine Nase, die freundlich einlädt, aber noch nicht alles preisgibt.
Nach etwa zehn Minuten ändert sich das Bild. Der Whisky wird fruchtiger, runder, wärmer. Die Aromen öffnen sich wie die Seiten eines alten Buches, das man jahrelang nicht aufgeschlagen hat. Genau dieses Gefühl kenne ich nur zu gut: Ein Band, der längst Staub angesetzt hat, wird wieder lebendig.
Nach rund 20 Minuten treten die Früchte deutlich stärker in den Vordergrund. Eine Mischung aus Zitrus, Pfirsich und dieser herrlichen Süße, die ich am besten als „Minz-Honig-Bonbon mit rotem, überreifem Apfel“ beschreiben kann. Auch ein paar beerige Anklänge schwingen mit.
Die Nase verändert sich stetig – und genau das begeistert mich. Ein Whisky, der sich bewegt, lebt, Kapitel für Kapitel.
Geschmack
Am Gaumen zeigt der Vellichor sofort eine schöne Ölstruktur. Weich, vollmundig, ohne scharfe Ecken. Der Rauch bleibt dezent im Hintergrund, fast wie ein kurzer Blick in einen Raum, der früher mal einen Kamin hatte.
Die Früchte, die sich in der Nase angekündigt haben, zeigen jetzt eine Richtung: überreife Mango, süß und saftig. Der Alkohol ist hervorragend eingebunden.
Eine leichte Säure tanzt seitlich über die Zunge und bringt Dynamik hinein. Die Vanille fügt sich harmonisch ein und verstärkt das cremige Mundgefühl. Zum Ende hin kommen dezente Eichenoten hervor, die das Ganze stabilisieren, ohne zu dominieren.
Finish
Der Vellichor ist ein Whisky, der Zeit braucht. Und diese Zeit zahlt er zurück.
Besonders die Nase ist eine kleine Reise – nicht laut, nicht pompös, sondern leise, vielschichtig und unglaublich spannend. Aromen, die sich entwickeln und wandeln.
Für mich ist das genau die Art Whisky, die ich mag: Einer, mit dem man sich hinsetzen kann, den man beobachtet, der sich verändert wie ein Buch, das mit jeder gelesenen Seite ein anderes Licht bekommt. Und vielleicht ist es gerade das, was Vellichor so besonders macht: Er ist nicht nur inspiriert von Büchern – er ist wie ein Buch.

Fazit
Würde ich mir den Whisky nochmals kaufen? Angesichts dessen, was dieser Blend mit sich bringt und sich zu verändern weis: Ja.
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